Sonntag, 28. Juni 2015

"I told myself to pick up the pieces and go moving on up again."


"Ich möchte gerne einen Blogpost darüber schreiben, aber ich weiß gar nicht mehr, wie das geht!", dachte ich mir heute morgen. Ist ja auch irgendwie logisch, oder? Mein letzter Post hier auf dem Blog ist vom April. Da war noch Frühling. Dieser Post soll aber gar keine Entschuldigung für meine lange Pause sein, denn das hier ist mein Spielplatz, mein Tagebuch, mein nettes Online-Zuhause, und wenn es das Leben eben grade anders möchte, dann passiert hier auch mal gar nichts. Und deswegen ist das hier ja auch ein Blog und kein Online-Magazin.

Vielmehr möchte ich euch aber erzählen, was die letzten Monate los war und was jetzt passieren wird und hoffe damit einigen von euch vielleicht helfen zu können, denen es eventuell ähnlich geht. Denn ich weiß aus eigener, aktuellster und schmerzlichster Erfahrung heraus, wie es sein kann, wenn man in eine Depression rutscht und das nicht erkennt.

Die letzten Monate waren hart

Wenn ich heute auf die letzten Wochen und Monate zurückblicke, frage ich mich wirklich, wieso ich es nicht früher selbst bemerkte, aber ich wollte es wohl nicht wahrhaben. Es ging mir schon sehr lange schlecht, richtig, richtig schlecht. Wie das alles anfing, weiß ich gar nicht mehr. Irgendwann fand ich mich wieder in einer bereits Wochen andauernden Phase des "Ich komme einfach nicht hoch, ich bin dauernd müde.". Nichts, was auf einer meiner vielen To-Do-Listen stand, war erträglich für mich. Vor jedem einzelnen Punkt hatte ich so große Angst, hegte dafür so viele Zweifel, dass ich letztendlich an meiner eigenen Fähigkeit zweifelte, die Punkte zufriedenstellend zu bearbeiten. Jeder einzelne Punkt wurde zu einer unmöglich überwindbaren Hürde für mich. Dazu befand ich mich in einem permanenten Zustand der Energielosigkeit, egal was ich tat, alles ermüdete mich, selbst der Weg von der Küche zum Badezimmer. Mein Nacken war dauerhaft angespannt, so wie ich generell, und ich knirschte wieder so stark mit den Zähnen, dass ich mir vom Zahnarzt eine Schiene besorgen musste. Ich konnte mich kaum bewegen. Auch die Dinge, die mir normalerweise Freude bereiten, ermüdeten mich und machten weder Sinn noch Spaß. Ich drückte mich davor zu kochen, backen war gar nicht mehr drin und ich hatte kaum Appetit, und spätestens da hätte mein Kopf sich einschalten müssen, oder? Ich habe nur noch mist gegessen und kaum Wasser getrunken. Aber ich hab das alles nicht als Problem wahrgenommen, sondern als Auswirkung des Stresses bezüglich meiner Bachelorarbeit, mit der ich währenddessen allerdings kaum voran kam. Ich konnte nicht lange lesen, weil ich mich überhaupt nicht auf die Texte konzentrieren konnte. Eigentlich konnte ich mich auf gar nichts mehr wirklich konzentrieren. Sogar bei Gesprächen driftete ich ab. Und die gab es selten in letzter Zeit, denn ich habe mich fast komplett zurückgezogen, mich kaum mehr mit Menschen getroffen, wenn es nicht unbedingt sein musste, und mich auch sonst nicht gemeldet. Ich wurde plötzlich regelmäßig krank, sogar eine Mandelentzündung packte mich, und lasst euch sagen: ich werde normalerweise super selten krank.
In den letzten Monaten habe ich sehr, sehr viel geweint, mich allein und verloren und absolut hilflos gefühlt, das war sehr schrecklich, aber ich wollte einfach nicht sehen, was mit mir los war. Gleichzeitig schien auch alles so egal und leer. Ich stand vor einem riesigen Berg an Dingen, die in meinem Leben gefälligst funktionieren müssen, und verzweifelte schon an den kleinsten. Und ich war damit gefühlt vollkommen allein, tief unten in einem dunklen Loch. Das ist ein richtiges Scheißgefühl, manchmal ist da auch einfach gar kein Gefühl, und ich habe mich niemandem geöffnet und allein mir die Schuld dafür gegeben. Zu guter Letzt gab es immer häufiger "Ich mess heute mal ausnahmsweise nicht so viel."-Tage, und es wurden immer, immer mehr, bis ich wirklich kaum noch meine Blutzuckerwerte gemessen habe und komplett nach Gefühl gespritzt habe. Es war alles so egal. Wenigstens habe ich noch Insulin gespritzt, könnten wir jetzt sagen. Mein direktes Umfeld hat kaum etwas davon mitbekommen, anscheinend konnte ich trotz alldem gut verbergen, das irgendetwas nicht stimmt, und so verstrich immer mehr Zeit. Kaum ein Tag war mehr normal oder schön für mich. Irgendwie habe ich schon gespürt, dass da was ganz falsch läuft, aber ich habe mich selbst dafür verantwortlich gemacht und gedacht, dass es schon irgendwann von alleine besser wird. Der Scheißhaufen war allerdings inzwischen so groß, dass ich das alleine einfach nicht hätte erkennen oder bekämpfen können.

Und dann der Wendepunkt, endlich

Bis zur letzte Woche. Letzte Woche hat mir endlich jemand, dem es bis vor kurzem vermutlich sogar ganz ähnlich ging, den Spiegel vors Gesicht gehalten. Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen, und ich hatte daraufhin drei sehr, sehr dunkle Tage. Aber diese Person hat mir in dieser Zeit geholfen, berichtet und mich informiert, und dafür bin ich diesem Menschen unheimlich dankbar. Danke. Wer weiß, was sonst alles noch passiert wäre mit mir. Ich habe mich meiner Diabetologin und Diabetesberaterin geöffnet,  weil ich die Menschen mag und ich ihnen vertraue. Sie haben sich direkt um potentielle Psychotherapeuten gekümmert und ich habe sogar nächste Woche schon einen ersten probatorischen Termin. Von meiner Hausärztin habe ich Tipps bekommen, die ich versuchen kann, um erstmal nicht mehr in dieses Loch hinein zu rutschen. Jetzt muss ich nur noch den richtigen Therapeuten finden und er oder sie mich, dann geht es hoffentlich bald los. Ich bin da relativ zuversichtlich im Moment, vermutlich liegt das an meinem unfassbaren Sicherheitsnetz aus Menschen, die mir jetzt gerade unheimlich großen Support geben, obwohl ich die letzten Monate in keinster Weise für sie da war (weil ich einfach nicht konnte).
Ich versuche mich im Moment sehr dazu zu bewegen, wieder häufiger als 0-1 Mal am Tag meinen Blutzucker zu messen. Oft vergesse ich meine Utensilien noch zu Hause oder denke einfach nicht daran, alles mitzunehmen. Meine Fingerchen konnten sich in den letzten Monaten so sehr erholen, dass das Pieksen zur Zeit sogar wieder ein wenig schmerzt. Aber es wird, glaube ich. Schritt für Schritt. Messen, korrigieren. BE-Tests oder Ähnliches gehen jetzt gerade noch nicht, aber die Hauptsache ist doch erst einmal, dass ich wieder damit angefangen habe, mich um MICH zu kümmern. Ich schäme mich nicht dafür, warum sollte ich auch? Ich bin einfach nur froh, es rechtzeitig erkannt zu haben und jetzt alles in die Wege geleitet zu haben, damit es mir endlich wieder besser gehen kann. Es geht mir nach wie vor nicht gut. Es macht keinen Spaß, mit jedem Professor in der Uni einzeln darüber zu reden, was los war und warum ich nicht so konnte wie die anderen.
Jetzt komme ich also mit Diabetes und Depression im Gepäck. Und auch damit werde ich irgendwie arbeiten können.
Ich habe diese Woche einige Menschen darüber informiert, warum ich mich so lange nicht bei ihnen gemeldet habe. Mit den fürsorglichen Antworten, die ich bekommen habe, habe ich nicht gerechnet. Und damit möchte ich den Blogpost auch langsam zum Ende kommen lassen. Sie alle sagten mir unter anderem, dass es bergauf gehen wird, dass es wieder besser werden wird. Und ich weiß, dass es so sein wird.


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