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Dienstag, 21. Mai 2019

OUT oder schon IN?

Letztens habe ich irgendwo gelesen, dass man ja nichts mehr Spannendes oder Wichtiges zur Diabetescommunity beizutragen hätte, wenn man nicht ständig über die neuste Technik schreiben würde. Alles andere wäre ja "so outdated", also veraltet. OUT. Und die Personen selbst ja auch total komisch, benutzen noch Pens und so. Voll last century.
Ich halte das für eine sehr subjektive und egozentrische Aussage und halte generell sowieso nicht viel von Trends, die mir irgendwelche Dinge vorschreiben. Im Folgenden erkläre ich euch gerne, warum.

Der Loop, der Loop, der Loop ist on fire - zu Recht!


Dass sich im Moment auf der Technikebene sehr viel um den DIY-Closed Loop dreht und das Thema ein wichtiges für die Community ist, steht komplett außer Frage. Gefühlt gibt es fast täglich News zum Thema. Die Bewegung dahinter ist vielleicht die wichtigste und größte Bewegung, die es bisher in der Diabeteswelt so gegeben hat. Es ist toll, das live miterleben zu dürfen. Und die Message ist kraftvoll und schlägt gefühlt alles bisher bekannte nieder: Wir wollen das. Und wenn ihr es nicht macht, machen wir es halt selbst. FULL STOP. Das ist alles gut und wichtig und richtig und überfällig und ich beobachte das alles mit großer Freude.

Er brennt leider nicht alle Probleme weg


Überraschung! Der Closed Loop kann sehr viel, löst aber leider nicht alle Probleme. Ich habe mit Loop immer noch einen Körper, der nicht mehr so funktioniert, wie ein komplett gesunder Körper das tut. Und dieser Körper lebt in einer Gesellschaft, die gerade auch kranke Körper systematisch benachteiligt, Sensoren oder Katheter am Körper als "nicht schön" abstempelt und uns noch dazu permanent mit unerreichbaren Schönheitsidealen überflutet. In so einer Welt mit chronischer Krankheit zu leben kostet auf verschiedenen Ebenen Kraft und wirft Fragen und Probleme auf. Bei dir vielleicht nicht so viele, aber bei mir vielleicht oder bei der nächsten Person noch etwas mehr. Und ausgeklügelte Technik kann da helfen, aber eben auch nur bei bestimmen Aspekten des Lebens mit Diabetes.



Welche Themen beschäftigen dich?


Und genau deswegen ist es so wichtig, dass hier in der (schreibenden, postenden) Community jede Person die Themen abdeckt, die ihr wichtig sind. Und noch essenzieller ist, dass sie wegen ihrer Auswahl an Themen nicht weniger wichtig für die Community ist als andere. Nur weil dich vielleicht Closed Loop oder das neuste Messsystem mehr interessiert, andere aber gerne von ihrem letztem Marathon, über das Thema Körperakzeptanz oder Diabetes und Zyklus sprechen möchten, sind alle Themen trotzdem gleich wichtig. Wir sind viele und haben ganz unterschiedliche Lebensrealitäten und Bedürfnisse. Ich sprach darüber letzte Woche.

Die meisten von uns haben zum Beispiel gar keine Pumpe oder ein CGM-System, und für viele Menschen mit Diabetes auf der ganzen Welt wird das vermutlich auch ihr Leben lang so bleiben, aus verschiedenen Gründen (Zugang, Lobby, Persönliches, Geld, Teil der Welt in dem sie leben, usw.). Was kann für sie getan werden? Welche Innovationen, Ideen oder politische Veränderungen gibt es für sie? Oder ignorieren wir diese Menschen, nur weil sie keine Pumpe tragen?

Was beschäftigt diese und alle Menschen mit Diabetes abseits von Technik? Diabetes und Zyklus, Diabetes und Älterwerden, Diabetes und Folgeschäden, Chronische Krankheit und Körperakzeptanz, Diabetes und Reisen, Diabetes und andere Krankheiten, Diabetes und Krankenhausaufenthalt, Diabetes Typ F, Diabetes und Sex, Diabetes und "sich wohl fühlen", Diabetes und Alltag, Diabetes und Schlaf, Diabetes und Familie, Diabetes und Job, Diabetes und Be_hinderung, Diabetes und Sport, Diabetes und Ernährung, Diabetes und Psyche, Diabetes und Ausgrenzung, Diabetes und Alleinsein. Das alles sind relevante und wichtige Themen, für die hier in der Community Raum ist und auch weiterhin Raum bleiben muss. Egal, ob sie für einige wenige als "IN" oder "OUT" gelten. Und es ist noch Platz für viel mehr, Platz nach oben.


Außerdem... Vielfalt!


Warum müssen wir eigentlich immer von uns selbst als Nabel der Welt ausgehen? Wo wäre diese Community, wenn das Einzige, worum es gehen dürfte nur Technikneuheiten sind, weil alles andere für wenige "doch schon ein alter Hut" ist? Nur weil Personen mit ihrem Diabetes in sämtlichen Aspekten des Lebens super klar kommen, gilt das nicht automatisch für alle anderen. Wir würden reihenweise Menschen ausgrenzen, die selbst an einem ganz anderen Punkt in ihrem Leben sind und für die zum Beispiel auch die technischen Aspekte der Diabetestherapie total unproblematisch und unwichtig sind (ja, es gibt sie). Es wäre ganz schön leer hier.

Ich lebe im hier und jetzt und es gibt so, so viele Fragen, die das Leben mit Diabetes aufwirft, so viele ungelöste Probleme, so viele wichtige Themen. Und deswegen schreibe auch ich weiter meine kleinen Texte und Geschichten und hoffe damit aufklären oder empowern zu können oder eine Diskussion zu beginnen und zum Nachdenken anzuregen. Oder um einfach nur zu wissen, dass ich mit etwas nicht allein bin. Und wenn es sich ergibt, dann auch über Technik. Aber eben nicht nur. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass sie überhaupt nicht relevant ist für mein oder jemand anderers Leben mit Diabetes. Es ist nicht immer alles schwarz und weiß und auch die Menschen in der Diabetescommunity und der Industrie dürfen das nicht vergessen, denn Messgeräte beispielsweise werden auch in Zukunft noch gebraucht werden. Nur vielleicht andere als die, die wir jetzt haben.

Danke für die Aufmerksamkeit!
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