Donnerstag, 7. Dezember 2017

Entzug? - Ein Jahr nach dem Absetzen

Okay, gut. Ich gebe zu: Dieser Post kommt minimal verspätet. Inzwischen ist es nämlich nicht mehr ein Jahr, sondern schon 14 Monate ohne. Ohne was? Vor 14 Monaten habe ich die Pille abgesetzt. Was das für meinen Körper und meinen Diabetes bedeutet hat, schreibe ich nun für euch nieder.

Tl;dr - Es war die beste Entscheidung meines Lebens, auch wenn es kein einfaches erstes Jahr war und es sicher nicht unbedingt einfacher wird. Aber der Reihe nach:


Warum wollte ich die Pille absetzen? Hormone, Hormone, Hormone. Die Pille kommt mit Nebenwirkungen, die ich nicht mehr aushalten wollte. Sitzen wie unter einer Glasglocke, depressive Episoden, dünnes Haar und brüchige Nägel, wenig Libido und und und, nur damit ich einen vorgetäuschten regelmäßigen "Zyklus" habe und nicht schwanger werden kann? Irgendwie war ich nicht mehr bereit, all diese Dinge einfach so auf mich zu nehmen und dafür täglich eine Pille zu schlucken und das meinem Körper anzutun. Außerdem kannte ich meinen regelmäßigen, echten Zyklus gar nicht, kannte mein echtes Selbst im erwachsenen Zustand nicht ohne Hormone. Ein verrückter Gedanke, oder? Ich habe die Pille seit Teenagertagen genommen und hatte Angst, eigentlich eine vollkommen andere Person zu sein. Ich wollte mich endlich kennen lernen. Mein selbst, (halbwegs) erwachsen, mit Diabetes und ohne Pille.

Im Oktober letzten Jahres war es dann soweit: Ich nahm die letzte Pille am 18.10.2016 ein, es war ein Dienstag.

Ein Leben nach der letzten Abbruchblutung

Was nach der letzten Abbruchblutung folgte, sind nun im vergangenen Jahr die verschiedensten Zyklen, die ihr euch nur vorstellen könnt. Ich habe quasi einmal die bunte Welt der Zyklen durch gemacht: ganz kurze Zyklen, sehr lange Zyklen, die schmerzhaftesten und längsten Perioden, super kurze und leichte Perioden, PMS aus der Hölle, kein PMS whatsoever, Pickel im Gesicht so groß wie Fernseher, die kleinsten Pickelchen der Welt oder gar keine. Perioden, die ich nur mit Schmerzmitteln überlebt habe und das genaue Gegenteil, alles und nichts von all dem und noch viel, viel mehr. Dazu hatte ich die ersten Monate krassen Haarausfall und meine Haut hat sich radikal verändert. Außerdem existierte nun das totale Diabetes-Blutzucker-Zyklus-Chaos, jeden Zyklus anders - oh, was ein Spaß!

Von meiner Gynäkologin und vielen Freundinnen, die auch die Pille abgesetzt haben, weiß ich, dass es bis zu zwei Jahre dauern kann, bis der Körper sich auf normalen Betrieb umgestellt hat. Das wusste ich vor dem Absetzen und darauf habe ich mich eingestellt. Unser Körper ist auch was den Zyklus angeht keine Maschine. Jeder Mensch ist anders. Bei manchen hat sich der Zyklus nach drei Monaten "normalisiert", andere brauchen ein Jahr oder zwei oder haben niemals auch nur einen Zyklus der so ist, wie ein anderer. Kommt natürlich zusätzlich auch noch auf die Länge der Pilleneinnahme und die Art des Präparates, aber auch auf den eigenen Körper an.

Was ist neu? Ich habe im Laufe des Jahres eine etwas mehr zu Unreinheiten neigende Haut bekommen, eine Körbchengröße verloren (weil ja immer alle sagen, man nimmt nach dem Pille absetzen zu, aber auch das ist individuell), aber meine Haare haben sich nach dem Ausfall erholt und sind nun kräftiger und wachsen schneller als zuvor. Und auch meine Nägel sind gesünder, wachsen schneller, sind stabiler geworden. Mein Diabetes benimmt sich inzwischen etwas vorhersehbarer und auch meine Zyklen sind abschätzbarer geworden, auch wenn ich jedes Mal noch ganz unterschiedliche Stärken von PMS und Schmerzen generell habe. Ich benutze weiterhin Clue und tracke damit inzwischen Zyklus und Insulinempfindlichkeit, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Ich habe durch NFP ein besseres Verständnis meiner Zyklen bekommen, nutze eine Menstruationstasse und habe mich durch beides noch intensiver mit dem Aufbau und den Funktionen meines Körpers beschäftigt, verstehe inzwischen auch, was mir wie gut tut und was zum Beispiel auch gut gegen Schmerzen bei mir funktioniert. Und psychisch? Geht es mir auch besser. Ich fühle mich, als hätte jemand die Glasglocke weg genommen. Es geht mir seltener richtig, richtig schlecht. Als hätte man mir den Schleier vom Kopf gezogen und ich habe eine klarere Sicht auf die Welt. Fühle mich insgesammt besser. Auch die Libido ist zurück gekommen.

Was erhoffe ich mir noch? Nun ist das erste Jahr vorbei und ich denke, meine Verwandlung ist noch lange nicht abgeschlossen. Ich hoffe, dass meine Zyklen noch regelmäßiger werden und auch mein Diabetes vorhersehbarer darauf reagiert, so dass ich da wirklich rechtzeitig handeln kann. Ich hoffe, dass meine Haut sich etwas beruhigen wird und irgendwann wieder zu einem klareren Hautbild zurückkehren kann. Und ich hoffe, dass die Schmerzen sich irgendwann auf einer mittleren Ebene treffen, anstatt mich ab und an einfach komplett weg zu knallen.

Wichtig zu wissen ist, glaube ich, dass falls ihr wirklich absetzen wollt oder vor Kurzem abgesetzt habt, dass alles, was dann auf euch zukommen kann, nicht passiert, weil euer Körper so scheiße ist und er ohne die "tolle" Pille nicht "richtig" funktioniert, sondern dass euer Körper verdammt nochmal Zeit braucht, sich nach langer Zeit mit Hormonen und künstlichem Zyklus zu regenerieren und überhaupt wieder so zu funktionieren. Dafür braucht man leider etwas, das sich Geduld nennt. Ja ich weiß, verrücktes Konzept.
Ich lese immer wieder, wie sehr das alles nach dem Absetzen nervt und wie sehr man sich einfach einen regelmäßigen Zyklus und keine Probleme wünscht, vor allem auch bezogen auf die Blutzuckerwerte. Es nervt mich auch alles, aber wer hormonfrei sein will, muss da wohl (meistens) durch. Und es wird besser! Ehrlich gesagt hat mich die Zeit nach dem Absetzen am meisten erschreckt, weil ich gesehen habe, was für einen großen Einfluss die kleine Pille auf meinen Körper hatte. Inzwischen bin ich ganz klar der Meinung, dass es eine der besten Entscheidungen war, die ich in meinem Leben getroffen habe. Ich wünschte mir sogar, ich hätte die Pille nie genommen. Ach, man bekommt sie doch so einfach als junger Mensch. Hauptsache nicht schwanger, nicht mit dem Körper auseinander setzen und tolle Haut, alles andere ist egal. Und es erschreckt mich, wie viele Frauenärzte die Pille mit wenig bis keiner Erklärung herausgeben oder regelrecht dazu drängen, die Pille einzunehmen. Auch erzählen viele von Partnern oder Ehemännern, die zur Pilleneinnahme drängen. Geht's eigentlich noch???


Wie sind eure Gedanken und Erlebnisse mit der Pille, eurem Zyklus und dem Diabetes? Wollt ihr vielleicht auch die Pille absetzen, zögert aber noch? Oder habt ihr Fragen zu Menstruationstasse oder Muttermund? Schreibt mir gerne!

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PS: Das hier sind alles meine Erfahrungen und Gedanken als Cis-Hetero-Mensch mit Diabetes Typ 1 ohne weitere Erkrankungen. Natürlich weiß ich, dass es Menschen gibt, für die eine regelmäßige Pilleneinnahme aus verschiedenen Gründen oder auch wegen anderer Krankheiten absolut Sinn machen kann. Meine Erfahrungen und Gedanken dazu sollen keineswegs eure Erfahrungen und Gedanken unsichtbar machen oder ihnen die Wichtigkeit nehmen. Wenn die Pille für euch funktioniert, ist das großartig. Ich versuche lediglich Menschen, die Austausch zum Thema Pille absetzen mit Diabetes wollen, mit meinen Erfahrungen vielleicht eine Hilfe anzubieten.







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