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Montag, 13. Mai 2019

Probier's doch mal mit Löwenzahn! - Ein Plädoyer für mehr Sensibilität

Am letzten Wochenende durfte ich Gästin sein auf der Geburtstagsparty eines Freundes. Er feierte bei sich zu Hause in der Altbauwohnung, in der er gemeinsam mit seiner Freundin lebt. Als ich ankam, waren viele Menschen da und die Stimmung war außerordentlich gut. In der Küche stand ein feines buntes Buffet. Es leerte sich nicht, weil der Gastgeber ständig mehr Essen aus der Speisekammer brachte. Sowas ist mir sympathisch und bei Parties halte ich mich aus solchen Gründen sowieso gerne in der Küche auf. Leider hatte ich zuvor schon gut zu Abend gegessen. Für ein paar Snacks hier und da reichte der Platz in meinem Magen aber noch aus, na klar! 

Das Ding mit dem T-Shirt

Ich trug ein T-Shirt und meinen CGM-Sensor sichtbar am Oberarm (Mein Sensor ist dafür übrigens offiziell nicht freigegeben, daher ist das keine Empfehlung für euch. Er hält bei mir super am Oberarm und die Genauigkeit stimmt. Alles ab von den Herstellerempfehlungen müsst ihr aber auf eigene Gefahr selbst testen!). Inzwischen trage ich den Sensor lange genug, um ihn zwischendurch einfach zu vergessen. Er klebt da halt an meinem Arm und ich ziehe ein T-Shirt drüber, weil ich mir keine Gedanken mehr darum mache. Es ist keine bewusste Entscheidung mehr für mich, den Sensor offen zu tragen, es passiert einfach. Normalerweise kennen die meisten Menschen um mich herum den Anblick inzwischen, in meinem Alltag muss ich eigentlich keine Anfänger-Fragen ("Was ist das?") beantworten. Und deswegen denke ich eigentlich nicht mehr darüber nach. Auf diesem Foto trage ich ein T-Shirt, den Sensor offen am linken Arm, war im Urlaub (good times!) und wurde gerade von einem Vogel angekackt:


Foto: @kiarannna

Fragen, Fragen, Fragen


Früher, als ich frisch diagnostiziert war und allen um mich herum mit Elan mein neues Leben erklärte, da kamen solche Fragen öfter. Ich hatte selbst auch noch viele Fragen und beantwortete sie deswegen sehr gerne. Schließlich wollte ich, dass die Menschen, die mir nahe stehen, alles über den Diabetes und die Therapie wissen. Nur so können sie vielleicht ansatzweise verstehen, wie es mir geht, dachte ich. Deswegen erzählte und berichtete ich aus erster Hand. Außerdem konnte ich so selbst mehr und mehr verstehen, was da eigentlich passiert in meinem Körper. Zwischendurch - sei es, weil ich ein neues Studium begann, neue Arbeitsstellen hatte oder einfach  mal neue Menschen kennen gelernt habe - kamen diese Fragen immer wieder auf und das war total okay. Ich beantwortete Fragen, erklärte geduldig, nahm Fehlinformationen die Luft aus den Segeln, belegte und begründete.

Kalt erwischt

Zurück zur Party: Im Verlauf des Abends ist etwas passiert, mit was ich so gar nicht mehr gerechnet habe. Eben weil der Sensor und das Leben damit so Teil meines Alltags geworden sind. Eben weil eigentlich immer alle um mich herum wissen, was da an meinem Arm hängt und wieso. Eben weil ich beim Anziehen nicht mehr drüber nachdenke.



Es sprachen mich an jenem Party-Abend nacheinander drei Menschen auf meinen sichtbaren Sensor am Arm an um zu fragen, was das denn genau sei. Mit zwei von dreien habe ich zuvor kein einziges Wort gewechselt, sie wussten nicht mal wie ich heiße und haben auch nicht gefragt. Während ich also drei Mal geduldig erklärte, spürte ich jedes Mal, wie ich geradezu nach den Worten suchen, ringen muss und eigentlich unbedingt wieder aus der Situation fliehen wollte. Es fiel mir plötzlich so, so schwer mir fremden Personen zu erklären, was das ist, was ich habe und wie es funktioniert, nur um ihre Neugier zu befriedigen. Lange hatte ich nicht mehr solche Probleme, die richtigen Worte zu finden und ich versuche nach wie vor zu erfassen, woran es liegen könnte. Dennoch wollte ich es ja erklären, wollte Aufklärung schaffen, wollte Stereotypen beseitigen, wie ich es irgendwie immer will.

Warum kostet es dennoch inzwischen so viel Kraft, in genau solchen Situationen fremden Menschen, die eindeutig nur neugierig sind, Teile meines Diabetes zu erklären? Der Diabetes ist bei mir die meiste Zeit im Hintergrund. Er nervt zwar, er will sich beachtet wissen, aber er kriegt im Stück meines Lebens nicht die Hauptrolle, denn die meiste Zeit tut er, was ich ihm sage. Und wenn nicht, lasse ich mir von ihm nicht meinen Alltag zerstören. Ich habe aber im Moment wenig Raum und Energie fürs Erklären, wenn es sich einfach nur um bloße Neugier handelt. Schon gar nicht in Situationen, in denen mir mein Gegenüber dann erzählt, dass sie bei einer Kräuterwanderung erklärt bekam, dass Menschen mit Diabetes jeden Tag zehn Löwenzahnstiele essen sollen, weil dies den Blutzuckerspiegel beeinflussen soll - so ist es auf der Party passiert. Ersetzt den Löwenzahn mit Zimt oder wahlweise auch mit Gurke, ihr kennt es sicher und es kostet Kraft.

Kraft kosten mich auch die immer gleichen Fragen, die dann noch so kommen und die Antworten, die dem Gegenüber Sicherheit vermitteln sollen, die Story zum Guten wenden sollen, als wäre es ein Script für einen Film mit glücklichem Ende. "Aber dir geht's ja gut damit, oder? Du kommst doch gut damit klar, oder?". Was heißt das? Wie schon gesagt, der Diabetes hat keine Hauptrolle in meinem Leben, aber trotzdem beeinflusst er ja mein Leben. Dass ich jeden Tag in der Woche, jede Woche, in jedem Moment meines Lebens (auch beim Sex, ja!) ständig über den Diabetes nachdenken muss und es einen Haufen Arbeit macht, damit es eben so funktioniert, es mich viele Stunden im Leben gekostet hat und noch kosten wird, damit es irgendwie okay klappt, ... das alles wird damit unsichtbar gemacht, denn das will irgendwie niemand wissen. Weil "du kommst doch gut damit klar, oder?".

Es kostet mich Kraft 

Ich habe vergessen, wie viel Kraft mich das alles kostet. Natürlich hätte ich die Fragen auch abblocken können, aber auch das kostet mich am Ende Kraft. Vielleicht habe ich es vergessen, weil im Moment einfach alles sehr viel Kraft kostet. Ich habe keine Lust mehr, fremden Menschen, die kaum Platz in meinem Leben einnehmen, das Thema Diabetes aus reiner Neugier nahe zu bringen und dann am Besten auch noch die "gut funktionierende Patientin" zu mimen, weil ja alles so gut läuft. Es kostet mich Kraft, zu Löwenzahn, Zimt oder Gurke nicht auszurasten, weil es ja nur "gut gemeint" ist. Ja, wollt ihr vielleicht direkt meinen Sensor mal anfassen, um mir im Anschluss mitzuteilen, wie groß der doch ist und das ihr den niemals tragen könntet?

Was ich mir wünsche sind Fragen, die mich und meine Situation ernst nehmen und Sensibilität beweisen. Fragen bei denen ich spüre, dass die Person gegenüber sich Gedanken gemacht hat und nicht einfach nur schnell Neugierde befriedigen möchte. Fragen, die nicht irgendwelche generellen Annahmen auf mich projizieren, die ich nicht erfüllen kann. Fragen, auf die ich Antworten geben und dadurch wirklich eine Ahnung von meiner Lebensrealität mit Diabetes anbieten kann. Vielleicht verstrickt ihr mich aber auch einfach in eine gute Unterhaltung und ich erzähle von selbst, wenn es passt, was das an meinem Arm ist. Aber für neugieriges Diabetes-Frage-Antwort-Spiel mit ungefragten und gut gemeinten schlechten Ratschlägen á la Zimt habe ich irgendwie keinen Raum mehr. There, I said it!

Montag, 5. September 2016

Der Diabetesherbst geht los

Leute! Es ist September. Und was bedeutet das? Der Herbst kommt, richtig. Ich habe diese Woche Geburtstag, auch korrekt. Endlich wieder Kürbissuppe, ja, das ist auf jeden Fall die Wahrheit. Aber auf was möchte ich denn eigentlich gerade hinaus? Es folgt: Meine kleine Ankündigung zum diesjährigen EASD.

EASD? Genau, im September findet immer der EASD statt! Bereits die letzten beiden Jahre durfte ich live dabei sein, wenn sich die European Association for the Study of Diabetes Mitte September für ein paar Tage in einer europäischen Stadt trifft, um Fachvorträge zu besuchen, Studienergebnisse auszutauschen und zu entdecken, was die Industrie an Neuheiten liefern wird.
So werde ich am 12. September nach München reisen, um dort für einige Tage auf dem EASD und den Veranstaltungen drum herum Gast zu sein. Es wird spannend, so viel kann ich bereits verraten. Ich wurde im Vorfeld von einigen Pharmafirmen eingeladen, und auch die Blood Sugar Lounge ist mit ihrem roten Sofa am 14. September vor Ort in München, ich habe also für meine Tage dort ein volles Programm, wenn ich mal nicht auf dem Messegelände sein werde, wo der EASD in diesem Jahr stattfinden wird. Außerdem plane ich, pro Tag in München natürlich mindestens eine Breze zu essen.

Was ich aber noch geplant habe für diesen EASD ist anders und für mich sehr neu und habe ich so noch kein Jahr auf dem EASD gemacht. Ich will euch jetzt noch nicht allzu viel verraten, aber ich bin wirklich schon extrem aufgeregt und nervös, ob das denn alles so klappen wird, wie ich mir das jetzt gerade im Moment vorstelle. Ich bereite gerade sehr viel vor, weil ich ja direkt vor dem EASD noch in Geburtstagsurlaub sein werde und während der Zeit alles schon in trockenen Tüchern sein muss. Ich mache mir Notizen, überlege hin und her und wäge ab.




Ich weiß, ich weiß, das ist jetzt hier alles noch sehr vage und hat keinen wirklichen Informationsmehrwert für euch, noch nicht! Aber darum soll es hier jetzt auch nicht gehen. Dies hier ist lediglich ein kleiner Teaser, der euch darauf vorbereiten soll, das hier auf dem Blog, auf Facebook, Twitter, usw. einiges in der Woche des EASD kommen wird und es auch danach viel mehr an Programm hier geben soll, was mir großen Spaß bereiten wird, WENN mein Experiment denn glückt.
Und jetzt zum Schluss noch meine Frage an euch: Was interessiert euch? Was wollt ihr gerne von den Konferenzen sehen? Oder aus München? Oder von mir?
Drückt mir die Daumen! Your baby's got a secret...

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Donnerstag, 1. September 2016

Sie sind überall...

Es kann am Sommer liegen und daran, dass ich im Moment sehr viel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, aber ich treffe in letzter Zeit immer und überall und ständig auf Menschen mit Diabetes. Meistens erkenne ich sie tatsächlich äußerlich daran, dass sie am Arm ganz sichtbar den gleichen Sensor tragen, der auch an meinem Arm klebt.
Anfang der Woche erst habe ich eine Frau in der S-Bahn gesehen, die den Sensor zwischen ihren Klitschko-Brüder-Tattoos platziert hatte. Sie las ein Buch und hat mich gar nicht bemerkt. Ich trage meinen Sensor meistens hinten am Arm, so dass er meinem Gegenüber oft auf den ersten Blick gar nicht auffällt. Ich habe versucht auf mich aufmerksam zu machen, indem ich meinen Wert überprüft habe, aber sie war so sehr in ihr Buch vertieft, dass ich sie eigentlich auch gar nicht stören wollte.

Auf Leute mit Sensor zu gehen oder nicht? Wie seht ihr das?
Letzte Woche, auch in der S-Bahn, ein junger Mann mit Fahrrad und Sensor. Wieder versuchte ich durch Überprüfen meines Wertes auf mich aufmerksam zu machen, er starrte aber permanent auf sein Smartphone und so bekam er meinen sehr vorsichtigen Kontaktversuch überhaupt gar nicht mit. Ich stieg aus, bevor er nur ein einziges Mal vom Display hoch blickte.

Aber wieso dieser Kontaktversuch?

Warum versuche ich permanent mit diesen Menschen Kontakt aufzunehmen? Eigentlich kann es mir doch völlig egal sein, wer wo wie seinen Sensor trägt und grade mit mir die S-Bahn teilt. Aber dann wäre ich jetzt nicht hier. Mit Menschen, die Diabetes haben, ins Gespräch zu kommen, kann sehr spannend und bereichernd für alle sein. Ich durfte das in meinen über drei Jahren mit Diabetes jetzt schon so unglaublich oft feststellen und ich kann euch nicht sagen, wo ich heute stehen würde, wenn ich bis dato noch niemand anderen mit Diabetes kennen gelernt hätte. Egal, ob es dabei nur bei einem kleinen, erheiternden Gespräch bleibt, ich Tipps für die Befestigung meines Sensors weitergeben oder bekommen kann oder aus dem Gespräch eine intensivere Bekanntschaft wird, das alles hilft, den Alltag mit Diabetes besser und motivierter zu meistern.

"Hier, das ist für Sie!"

Eine solche kleine Geschichte passierte mir auch letzte Woche bei einem meiner regelmäßigen Streifzüge durch die Secondhand-Läden Berlins. Ich hatte bereits einige Teile gefunden, die mir gefallen und die ich anprobieren wollte und wartete vor den Umkleidekabinen darauf, dass eine der Kabinen für mich frei werden würde. In einer Kabine war der Vorhang bereits aufgeschoben und eine ältere Dame sortierte sich darin. Ihr Zittern schrieb ich ihrem vorangeschrittenen Alter zu. Sie entfernte sich aus der Kabine, setzte sich auf den Sessel davor und teilte mir freundlich mit, dass die Umkleide nun frei wäre. Ich betrat die Kabine, zog den Vorhang zu und begann, meine Ausbeute anzuprobieren. "Könnten Sie mir vielleicht noch kurz helfen, junge Dame?", rief es von der anderen seite des Vorhangs. Ich lukte aus meiner Kabine zu der Frau auf dem Sessel vor mir, die zittrig versuchte, eine kleine Saft-Glasflasche zu öffnen. "Natürlich, gerne!", sagte ich und öffnete ihr schnurstraks die Flasche. Sie bedankte sich und meinte, sie sei seit 57 Jahren Typ-1-Diabetikerin und braucht das grade.
Ich ging schnell in die Kabine zurück und realisierte dann erst, was sie gerade gesagt hatte, streckte meinen Kopf hervor und meinte: "57 Jahre schon? Wirklich? Das ist eine lange Zeit!". Sie nickte euphorisch. Ich ging aus der Kabine und sie erzählte mir, dass sie die Diagnose bekam, als sie 20 Jahre alt war, wie das für sie war und dass sie immer auf sich geachtet hat. Dann meinte ich, dass ich seit drei Jahren auch Diabetes habe und sie sehr gut verstehen kann. "Tatsächlich? Was für ein Zufall!" Sie sagte mir, dass sie Kinder und inzwischen sogar Enkelkinder bekommen hat, dass sie oft versucht auf Nudeln und andere weiße Lebensmittel zu verzichten, weil der Blutzucker dann besser ist, und dass ich immer versuchen soll, ein aktives Leben zu führen. Zum Schluss sagte sie: "Wissen Sie, Schatz, wenn ich das so lange überlebt habe, dann können Sie das auch! Vergessen sie das nicht!". Ich nickte und verschwand wieder in der Umkleide.
Plötzlich kam eine ausgestreckte Hand in die Umkleide. "Hier, das ist für Sie, Schatz!", sagte die Frau. In ihrer Hand ganz viel Traubenzucker und kleine Süßigkeiten. Ich öffnete den Vorhang, nahm ihr kleines Geschenk an mich entgegen, bedankte mich sehr gerührt und wünschte ihr noch einen schönen Tag. Für solche Begegnungen lebe ich. Wie wunderbar, sowas sollte jedem passieren. Und genau aus diesem Grund denke ich jedes Mal nach, wenn ich den Leuten ansehe, dass sie Diabetes haben, ob ich sie ansprechen sollte oder nicht. Weil ganz wunderbare Dinge aufkommen können. Lasst euch solche Momente nicht entgehen, weil ihr euch nicht traut. Nehmt euren Mut zusammen und sprecht die Menschen drauf an. Und wenn sie scheiße reagieren, ist das leider so. Manche wollen einfach aus verschiedenen Gründen nicht drüber sprechen, dann müssen wir das respektieren. Aber wenn doch, können wirklich tolle motivierende Momente entstehen.
Ich wünschte, ich hätte mich getraut Kontaktdaten mit der Frau auszutauschen und vielleicht hätte ich die Möglichkeit bekommen, sie zu interviewen. 57 Jahre sind eine sehr lange Zeit und sie hat sicher spannende Geschichten zu erzählen. So bleibt mir am Ende nun allerdings nur dieser Moment übrig, den ich jetzt ganz tief in mir verwahrt habe.

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