Dienstag, 20. November 2018

Ein Mal Pumpe, nie zurück? - Gastbeitrag


Hallo! 

Vor ein paar Tagen schickte mir Kiara (ihr findet sie zum Beispiel auf Instagram oder Twitter unter @kiarannna) einen Text und ich las ihn und fand ihn gut und wichtig. Danke, dass du den Text mit mir geteilt hast!
Ich habe großartiger weise die Erlaubnis bekommen, den Text auf dem Blog mit euch zu teilen. Wenn ihr also etwas zum Thema Pen und Pumpe lesen wollt und euch schon immer gefragt habt, ob die Aussage "Einmal Pumpe, immer Pumpe" immer zutreffen muss und ihr niemals mehr wechseln dürft/ dürfen wollt, dann lest gerne weiter! Okay, ich bin jetzt ruhig, Vorhang auf für Kiara:


Achtung: ungern gehörte Meinung, denn: „Einmal Pumpe, immer Pumpe“

Vor knapp einem halben Jahr haben verschiedene Umstände und Entscheidungen dazu geführt, dass ich nach mehr als vier Jahren mit Pumpentherapie wieder zu Pens umgestiegen bin. Kommentare wie: „aber du weißt, dass eine Pumpentherapie die bessere Therapie ist?“, „eine Pumpe kommt einer funktionierenden Bauchspeicheldrüse viel näher“‚ „sicher, dass du dich jedes Mal spritzen willst?“ sind nur ein Ausschnitt der Reaktionen die ich auf meine Umstellung bekam. Nicht nur das, es ist auch die eine allgemeingültige und gängige Meinung, die durch die Diabeteswelt kursiert. „Einmal Pumpe, immer Pumpe“, „Mehr Lebensqualität mit Insulinpumpe“. Das ist Gesetz. Aber warum? Warum muss eine Entscheidung die ich mit 16 getroffen habe, auch für mein 21-jähriges Ich gelten? 


Heute hatte ich meinen Quartalstermin bei meinem Diabetologen. Auch wenn mein Arzt und ich mittlerweile eigentlich nur noch auf die ‚time in range‘ (Zeit im Zielbereich) schauen und versuchen dem HbA1c kein Gewicht zu geben, wird der Langzeitwert natürlich gemessen. Und was soll ich sagen, mein HbA1c hat sich seit meinem Wechsel konstant gebessert und ist jetzt an einem Punkt an dem er seit zwei Jahren nicht mehr war. Klar kann ich jetzt bei den verschiedensten Faktoren nach einer Ursache dafür suchen. Jede Person mit Diabetes weiß, was alles Einfluss auf den Blutzucker haben kann. 

Mein Zyklus ist im Moment so unregelmäßig und unvorhersehbar, wie gute Entscheidungen in der deutschen Politik, mein Stresslevel so hoch wie die Männerquote in Führungspositionen und meine Energie, mich jeden Tag bewusst um meine Blutzuckerwerte im Alltag zu kümmern, läuft auf Stromsparmodus einer fast leeren Powerbank. Alles erstmal Faktoren, die meiner Erfahrung nach, bei mir, nicht zu irgendeiner Verbesserung meines Langzeitwertes führen. Was ist es dann? Seid nicht enttäuscht, wenn ich euch jetzt sage, dass es auf diese Antwort, wie auf so vieles, keine pauschale Antwort geben kann. 

Trotzdem ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind und ein kleiner Liebesbrief an die Pentherpaie: Ich habe das Gefühl, dass ich durch den Umstieg auf die ICT viele Entscheidungen im Alltag bewusster treffe und vielleicht mein gesamter Umgang mit Diabetes wieder bewusster geworden ist. Einen Bolus mit einem Gerät abzugeben ist ein anderer Akt, vielleicht nebensächlicher, als meinen Pen aufzudrehen, KH zu berechnen und eine passende Spritzstelle für jede Mahlzeit zu finden. Außerdem: keine nervigen Pumpenalarme mehr während Vorlesungen wegen einer zerknickten Kanüle. Wie sehr hat sich das monotone Piepen meines PDMs in meinen Kopf gepflanzt, dass nie zu einer passenden Situation kam. Malt euch ungelegene Situationen aus, ein Podalarm war bestimmt dabei. Und Raum und Zeit für einen sofortigen Podwechsel habe ich im Alltag leider selten, vorausgesetzt, ich hatte die Wechselutensilien dabei. 

Und auch packen ist leichter geworden! Meine aktuelle Lebenssituation verlangt es, dass ich fast wöchentlich meine Sachen packen muss, um von einer in die andere Stadt zu fahren. Mir ist schnell aufgefallen wie viel weniger Gepäck ich durch die Pens benötige. Statt immer, je nach Zeitraum, ein paar Ersatzpods und alles was dazugehört, mit mir rumtragen zu müssen, habe ich eine Ersatzinsulinampulle und ein paar Pennadeln dabei, das wars! Erleichternd! 

Ich könnte die Liste jetzt weiterführen, genauso wie ich Fakten benennen könnte die ich an der Pumpentherapie vermisse. Aber darum geht es hier nicht. Fakt ist: Nur weil ich mich zum jetzigen Zeitpunkt entschieden habe wieder zu spritzen, muss das nicht für die gesamte Zukunft gelten. Vielleicht steige ich auch nächstes Jahr wieder auf ein Pumpenmodell um, welches sich für mich richtig anfühlt. 

Es ist wie mit so vielen Dingen im Leben: Menschen haben eine vorgefertigte Meinung, die über alles gestülpt wird und überall passen muss. Eine Vorstellung, wie etwas zu laufen hat, eine Theorie, die ohne jegliches hinterfragen auf die Praxis adaptiert wird. Aber wir leben alle in verschiedenen Lebensrealitäten, haben einen unterschiedlichen Alltag und diverse sonstige Laster mit uns rumzutragen. Wir sind Individuen, mit unterschiedlichen Körpern, unterschiedlichen Bedürfnissen. Was bringt es, irgendwem von uns eine Insulintherapie als besser oder schlechter darzustellen? Was bringt es uns, egal in welchem Lebensbereich, zu pauschalisieren? Ich möchte keine Diabetestherapie, die irgendwie meinem Alltag aufgezwungen wird, in der Hoffnung, dass sie passt. Ich möchte eine Therapie, die ich mitformen kann, die sich mir fügt und die sich eben als die richtige Lösung für mich (!) darstellt. Insulinpumpen haben den Ruf, die eine Lösung aller Probleme zu sein, wenn du dich einmal an die Lebensqualität mit einer Pumpe gewöhnt, wirst du sie nie wieder ablegen wollen. 


Ich habe im Moment mit Sensor und Pens einen guten Weg gefunden Diabetes als ein Puzzleteil meines Alltags zu sehen. Hört bitte auf zu denken, es gebe ‚die eine richtige Lösung‘ für uns alle. Nein, gibt es nicht, gibt es nie. Was für mein 16-Jähriges Ich gepasst hat, muss nicht für die 21-Jährige Kiara stimmen. Meine hellblauen Chucks, die ich mit 16 getragen habe passen auch nicht mehr, dafür habe ich jetzt rosa Chucks und wer weiß, vielleicht irgendwann mal wieder welche in hellblau. 

Montag, 19. November 2018

Diabetes & Psyche - Zeit und Schulterklopfer

Leider noch immer ein viel zu großes Tabuthema: Diabetes kommt tatsächlich häufiger zusammen mit psychischen Erkrankungen vor, als wir das vielleicht denken. In dieser Blogparade, die auf den Weltdiabetestag folgt, wollen wir an fünf Tagen das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln heraus aufgreifen, euch von unseren eigenen unterschiedlichen psychischen Erkrankungen berichten, gute und schlechte Geschichten erzählen und ganz ehrlich mit euch sein. Denn wir möchten das Tabu brechen, das Thema zugänglicher machen und Stereotypen endlich aus der Welt schaffen. 


Anfang des Jahres schrieb ich in meinem Post "5 Dinge, die ich in 5 Jahren mit Diabetes gelernt habe", den ich im Zuge meines fünften Diabetesjubiläums verfasste, folgendes:
"Auch die psychische Gesundheit ist wichtig und darf nicht vernachlässigt werden. Bei Menschen mit Diabetes ist viel häufiger auch eine Depression mit im Spiel, als das bei stoffwechselgesunden Menschen der Fall ist. In der Arbeit mit meiner Therapeutin habe ich festgestellt wie wichtig psychische Gesundheit ist, wie viel Einfluss diese auf den Diabetes haben kann und umgekehrt und wie viel Zeit die Auseinandersetzung damit aber auch brauchen kann. Niemals ist das aber verschwendete Zeit, auch das musste ich lernen. Gebt euch die Zeit, die ihr braucht. Immer." (könnt ihr hier nachlesen)

Keine verschwendete Zeit - niemals!

Und das meine ich auch heute noch genau so. Auch wenn ich es im Alltag oft vergesse und mich immer wieder selbst daran erinnern muss, dazu aber gleich weiter unten noch mehr. Ich habe in den letzten 3 Jahren so einiges zum Thema Diabetes und Psyche schamlos auf dem Blog geteilt (hier zum Beispiel kurz nach meiner Diagnose 2015) und durfte immer wieder überrascht feststellen, dass es vielen von euch ähnlich geht und dass es euch und mir gut getan hat, darüber zu sprechen. Drei Jahre später, und wir sprechen leider immer noch sehr wenig darüber. Wir leben immer noch in einer Leistungsgesellschaft, die eigentlich keinen Platz für uns hat und uns als nicht leistungsfähig genug abstempelt. Denn nur wer genug leistet, ungeachtet der psychischen oder physischen Gesundheit, bringt auch genug Geld. Und genau aus diesem Grund habe ich mit 4 anderen wundervollen Bloggerinnen (Links folgen unten) diese Blogparade ins Leben gerufen, die ich heute abschließen möchte. Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich diese Woche beenden kann und habe dann beschlossen, das ganze auf einer eher positiven Note sacken zu lassen und noch einmal zu betonen, dass wir daran gemeinsam kämpfen müssen, die Vorurteile zu beseitigen! 


Es geht mir... besser!

Ich kann es endlich sagen: Nach meiner Diagnose im Jahr 2015 ging es rückblickend bergauf für mich. Natürlich verläuft der Prozess zur Heilung nicht linear ab, das tut er nie. Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, ich stünde oben auf einem Berg auf den gerade die Sonne scheint, dann könnte ich  vom Berg hinabblicken und meinen Weg hier hoch zurückverfolgen und sehen: es wurde und wird immer und immer besser. Das erkennen zu können tut so gut und ist enorm wichtig für mich im Moment. Letztens in einer Sitzung mit meiner Therapeutin sind wir darauf eingegangen, denn selbst konnte ich das lange nicht erkennen und wertschätzen. 

Danach habe ich es mit Freunden besprochen. Alle haben es gesehen, mich ermutigt und mich gelobt. Oh, wie schwer es doch ist, sich selbst mal auf die Schulter zu klopfen und wie lange ich das alles nicht gesehen habe. Nie war meine Leistung (eher: Heilungsgeschwindigkeit) gut genug für mich, nie ging es schnell genug. Und jetzt rückblickend kann ich endlich, endlich auch stolz auf mich sein. Fast drei Jahre hat es gedauert, bis ich an diesem Punkt sein konnte. Es geht mir tatsächlich besser. Aktuell habe ich keine regelmäßigen Therapiesitzungen mehr, alles läuft nach Bedarf. Ich kann Alltagssituationen inzwischen selbst besser einschätzen und mir mehr Raum bauen; mich vor Dingen, die zu viel Kraft kosten eher schützen, auf mich selbst aufpassen. Ich bin aufmerksamer gegenüber potentiellen Energieklauern geworden.

Die Sache mit dem Aufpassen 

Mit Depression im Boot habe ich das Gefühl, ich muss noch besser und anders auf mich aufpassen als "nur" mit dem Diabetes. Denn schnell kann ich mich wieder am Boden finden, das weiß ich. An einem Tag ist alles super und am nächsten können all die Gedanken und Gefühle, die ich so nicht mehr in meinem Leben haben möchte auch schon wieder da sein. Das Aufpassen bewahrt mich vor so einer potentiellen Situation nur bedingt, denn ich kann leider nicht selbst entscheiden wann und wo die Depression beginnt und endet. Kann ich leider wirklich nicht, ich weiß nur inzwischen besser damit umzugehen, sollte sie wieder anschleichen.

Bewusst werden lassen

Im Moment ist mein Leben sehr voll und stressig und ich vergesse ab und an, dass meine chronischen Krankheiten mehr Zeit benötigen. Ich hatte lange keine Episode mehr, die mich daran erinnern könnte. Ich muss es selbst tun. Mir ist klar, dass mein Alltag mit einem Schnips umgekrempelt sein und ich nicht mehr "funktionieren" kann. Das kann wirklich so, so schnell gehen. Es kann sich aber auch unfassbar langsam anschleichen, das muss ich mir aktuell immer wieder bewusst machen. Es ist ein permanenter Kampf, ich hab mein Schwert immer in der Hand. Immer hoffen, dass keine Episode anrollt, dass sie mich doch verschont. Dass ich genug über mich selbst weiß, um gegenzusteuern. 

Stigma

Zwei unsichtbare chronische Krankheiten. Beide treten mit einer unendlichen Menge an Stigma auf. Stigma, dass sich nur sehr langsam ändert. Menschen mit Diabetes sind dick und haben zu viel Zucker gegessen, die sollten einfach eine Diät machen und gut ist. Menschen mit Depressionen sind faul, immer traurig und können sich nicht zusammenreißen. Die sollten nur mal lachen. 

Warum wir an diesen Vorurteilen so unheimlich festhalten frage ich mich, frage ich euch. Denn sie bringen doch wirklich niemandem etwas. Menschen, die tatsächlich mit diesen Krankheiten leben trauen sich womöglich nicht, sich Hilfe zu suchen, bekommen schlechtere Hilfe in ihrer Praxis, weil auch das Arzt- und Pflegepersonal am Stigma festhält. Was das am Ende für beide Diagnosen bedeuten kann, muss ich euch hoffentlich hier nicht auflisten. 

Ich lebe also mit zwei unsichtbaren chronischen Krankheiten. Beide stämme ich zusätzlich zu meinem Alltag. Ich muss. Ich muss mir Zeit schaffen, zu reagieren, zu heilen, zu erkennen, daran zu arbeiten. Permanent. Und ich mache gerade einen richtig guten Job. Während ich diese Zeilen schreibe, klopfe ich mir auf die Schulter. Etwas, was ich sonst nie mache. Und ich weiß, dass ich in diesem Text die Problematiken nur an der Oberfläche angeschnitten habe. Dass wir so viele Vorurteile zu bekämpfen haben. Ich sehe diese Woche als Beginn, wieder mehr darüber zu sprechen. Bald also endlich wieder mehr zu den Themen. Denn wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein könnten. 

Lest hier auch die Artikel zur Blogparade von Katharina, Lea, Saskia und Lisa nach!

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