Donnerstag, 21. November 2019

Tag 21 - Mein "Normal"

Um 7:50Uhr klingelt mein Wecker. Dann direkt der erste Blick aufs Handy und den Nachtverlauf meiner Werte. Wie ist denn mein aktueller Wert? Im Zielbereich heute, okay. Ich richte mich auf, greife nach meiner pinken Wasserflasche und trinke einen großen Schluck Wasser. Dann beuge ich mich nach vorn und ziehe den Vorhang vor meiner Fensterfront etwas zur Seite. Draußen grauer Himmel, Regen prasselt ans Fenster.

Ich gucke auf mein Handy, 8:10Uhr. Zeit fürs Bad. Duschen, Zähne putzen, raus. Ich brauche nicht allzu lange für diesen Teil meiner Routine. Um 8:25 bin ich wieder in meinem Zimmer. Ich überlege, was ich heute anziehen möchte. Greife nach einer Hose, suche einen Pullover. Dann creme ich mir das Gesicht ein und versuche herauszufinden, ob es sich heute nach einem Tag mit oder ohne Make-up anfühlt. Ich entscheide mich gegen Make-up. Ich nehme meine Bürste in die Hand, beuge mich kopfüber nach vorn und fahre ich mir ein paar Mal damit durch die Haare, ehe ich mir ein Paar Ohrringe greife und diese anlege.

Dann packe ich meine Tasche, überprüfe, ob ich alles habe, ziehe Schuhe und Jacke an und greife nach meinem Regenschirm. Kopfhörer auf, Musik an und los zur S-Bahn-Station. Den Weg kann ich auch im Schlaf gehen, so fühlt es sich auch beinahe noch an. Ich steige in die S-Bahn. Es ist wieder viel zu warm da drin, und auch viel zu voll. Zum Glück kann ich dank meiner Kopfhörer die vielen Geräusche ausblenden. Ich schalte einen Podcast dazwischen und muss ein Bisschen kichern, weil er so lustig ist. Witzige Podcasts höre ich gerne morgens, weil sich das direkt auf meine Stimmung auswirkt.

An meiner Station steige ich aus der S-Bahn, gehe die Treppe runter mit all den anderen Menschen, die wie ich auf dem Weg zur Arbeit sind. Ich gehe die drei Minuten und schließe am Ziel angekommen mit dem Schlüssel die Tür auf. Dann nehme ich den Aufzug nach oben, weil dieser gerade einen Monat lang ausgefallen war und erst seit gestern wieder funktioniert, das muss ausgenutzt werden.

Angekommen lege ich meine Jacke und Tasche ab und grüße meine Kolleg_innen. Ich schnappe mir eine Flasche Wasser, immer ohne Kohlensäure, und mache mir eine Tasse Kaffee mit Hafermilch. Außerdem bereite ich mir noch eine Schale Müsli mit Joghurt zu. Das alles kommt auf meinen Schreibtisch, ich setze mich auf meinen Schreibtischstuhl. Wieder Blick aufs Handy. Werte okay. Ich spritze für mein Frühstück und beginne meine Mails zu checken, während ich den ersten Schluck Kaffee trinke.

Mein "Normal"

So oder so ähnlich sieht mein Morgen aus. Das ist mein "Normal". Die Art und Weise, wie ich mich im Verlauf eines Tages um meinen Diabetes kümmere, muss sich meinem "Normal" anpassen und umgekehrt irgendwie auch. Mein "Normal" kann ganz anders aussehen als deins, trotzdem ist es mein "Normal", und deswegen setze ich dieses Wort auch in Anführungszeichen.

Immer wieder begegne ich Menschen, die komplett zu vergessen scheinen, dass wir alle nur Menschen sind und wir alle ein anderes, eigenes "Normal" haben. Auch ich vergesse das manchmal immer noch, obwohl ich versuche, mir das sehr bewusst zu machen.

Wenn eine Person zu mir sagt "Also ICH könnte das ja gar nicht, das ist doch nicht normal, sich jeden Tag zu spritzen!", dann sage ich "Wenn dein Leben davon abhängen könnte, würde das auch ganz schnell zu deinem "Normal" gehören, glaub mir!". Nur weil es nicht zu deinem Alltag gehört, berechtigt dich das nicht dazu, meine Therapie derart abzuwerten. 

Ich bin immer wieder verwundert darüber, wie Menschen in unserer Gesellschaft Diabetes behandeln. Einerseits wird komplettes Bullshit-Bingo gespielt, es werden alle möglichen Vorurteile und Stereotypen in einen Topf geworfen und ein Mal kräftig rumgerührt. Dann aber sollen wir uns gleichzeitig bitte außerordentlich um uns kümmern, als wären wir unsere eigene Bauchspeicheldrüse, und das natürlich neben all dem anderen, was das Leben so bietet. Denn sonst werden wir ja nur noch mehr zur Last für das System. Das aber bitte am besten so unauffällig und leise wie möglich, um die "gesunden" Menschen nicht zu stören. Also manchmal frage ich mich echt...

Apropos "gesund", darüber kommt diesen Monat auch noch ein Text. Und auch das Scheitern hab ich nicht vergessen. Ich bin nur diese Woche daran gescheitert (haha), einen Text zu Teil 2 auszuarbeiten. Aber der Monat hat ja noch ein paar Tage :)

Bis morgen!

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